Unsere langjähriger Zeitfahrteilnehmer Stephan Petrasch berichtet hier von seinem Abenteuer in Brasilien
IN DER NASSEN IRONMAN HÖLLE von „Do BRAZIL“
Wer mich kennt weiß: nein, diese Gelegenheit würde ich mir nicht entgehen lassen: Sohn Wolfgang ist für 1 Jahr in Brasilien und ich war noch nie in Südamerika – also Koffer packen und ab nach Rio. Und, dass so eine Reise nicht ohne eine IRONMAN-Teilnahme geht ist ja wohl auch selbstverständlich. So sind wir beide nach einigen Tagen in Rio gemeinsam nach Florianopolis geflogen, ca. 1000k südlich von Rio, dem Wettkampfort.
Der IM hier in Brasilien ist ein Erlebnis schon bevor es los geht. Die Leute sind total euphorisch und begeistert. Viel kommen in großen Teams, man hat den Eindruck die kennen sich alle. Die freuen sich einfach nur und feiern das Ereignis. Nur ganz wenige Ausländer, ich bin einer von 3 Deutschen und selbst aus Spanien/Portugal kommen nur 3 Teilnehmer. Und die Leute sind so herzlich man fühlt sich total willkommen, und sie wollen alles über dich wissen; allerdings klappt es für mich mit der Verständigung nicht, hier kann kaum jemand Englisch und nur wenige Spanisch. Zum Glück regelt dann mein Sohn alles der mittlerweile fliesend Portugisisch spricht.
In den Tagen vor dem IM hatte ich die Ruhe, mich mental auf den Wettkampf und das Durchhalten einzustellen. Ich glaube der Song von SIA „Unstoppable“ hab ich mir 100 Mal angehört. Wie wichtig das werden würde, konnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen.
Natürlich kam Wolfgang zum Schwimmstart mit. Und natürlich schlug die euphorische Stimmung der Südamerikaner auf uns über. Einfach immer wieder Gänsehaut die Stimmung vor dem Start, wenn knapp 2000 Sportler, alle mit grünen Bademützen und schwarzem Neo am Rande des Atlantik stehen und heisse Rhythmen peitschen aus den Lautsprecherboxen. Ich will es kurz machen: nach 1:19 h und 3,8 k steige ich aus dem Wasser – meine beste Schwimmzeit bei einem IM ever. Dass ich so eine Zeit jemals schwimmen würde, hätte ich nie gedacht. Ich denke sooft daran zurück, wie Tanja beim DSV mir im zarten Alter von 55 Jahren das Kraulen beigebracht hat. Leicht hatte sie es mit mir nicht …. und jetzt 1:19 h !!! Ich war so elektrisiert als ich die Zeit auf meiner GPS Uhr sah, dass ich ganz vergessen habe, den Timer auf Wechselzone 1 umzustellen.
Kurz nach dem Schwimmausstieg fing es an leicht zu nieseln. Ein Monat lang war es hier 25 Grad bei strahlendem Sonnenschein gewesen, und jetzt Regen. In der Ausschreibung stand: flache Rad-Strecke auf der gesperrten Autobahn: ein Traum für Triathleten !!! Doch dieser Traum wurde zum Alptraum. Gesperrt war die Autobahn, ja. Aber auf jeder Seite nur ein Fahrstreifen für die Radfahrer, getrennt vom Autoverkehr nur durch Pylonen. Für mich war das Harakiri pur. Unaufhörlich rasten die Autos mit +120 km/h direkt an uns vorbei. Aber nicht über ein Teilstück von 5 k, nein, die ganzen 180 k lang. Das geringste Übel daran war noch der ohrenbetäubende Lärm, den wir 180 k lang zu ertragen hatten. Wie die Verwaltungen in Brasielien soetwas genehmigen können ist mir schleierhaft. Auf dem Rückweg lag jede 3. Pylone umgefahren irgendwo mitten auf der Fahrbahn. Man will sich garnicht vorstellen wenn …. Dazu kommt: mittlerweile hatte es sich richtig eingeregnet, es hörte gar nicht mehr auf. Bald hatten sich Aquaplaning schwangere Pfützen gebildet durch die wir radeln mussten, und noch schlimmer, mit dem Wasser bespritzten uns die vorbeifahrenden Autos von oben bis unten, was für ein Horror. Auch die Temperaturen waren mittlerweile auf 16 Grad gesunken und ich bin nun mal sehr Kälte-empfindlich geworden. Irgendwann begann ich, vor Kälte zu zittern was zur Folge hatte, dass mein Lenkrad hin und her wackelte. Meine „Tour de France“ erprobte Regenjacke hatte ich zu Hause gelassen – es sollte ja nach Brasilien gehen. Und die angekündigte flache Strecke? Autobahn ist halt Autobahn und da wird der Berg nicht abgetragen wenn sie gebaut wird. Insgesamt 1200 HM standen auf der Garmin nach den 180 k. Und jetzt stellt man sich einmal vor: ich stehe oben vor einer steilen Abfahrt, das Wasser läuft den Asphalt herunter, links und rechts rasen die Autos vorbei und mein Lenker wackelt weil ich vor Kälte zittere. Ohne Scheibenbremsen wäre ich spätestens hier abgestiegen. Ich sage es ehrlich, es waren ja zwei Runden a 90 k. Als ich kurze vor dem Wendepunkt war, war ich mir sicher – ich breche ab, das halte ich nicht noch einmal 90 k durch.
Vereinbart war mit Sohnemann, dass er nach dem Schwimmen erst wieder zum Laufen an der Strecke steht. Doch plötzlich stand er da, am Wendepunkt der Radstrecke. Triefend nass, und feierte mich begeistert. Soll ich jetzt diesen Jungen enttäuschen der sich so freut seinem Vater beim Durchhalten zu helfen. Nein, das bringe ich nicht über das Herz, das kann ich nicht. Also drehe ich am Wendepunkt und mache mich auf die zweiten 90 Horror- Kilometer.
Ich hatte im Vorfeld des Wettkampfes viel trainiert und auch gut trainiert, der Trainer hat mir da schon einen klug ausgeklügelten Plan geschrieben.
In Wechselzone 2 fühlte ich mich gar nicht so kaputt wie sonst, nur die Oberschenkel waren steif gefahren. Aber zum Laufen braucht man ja keine Kraft. Wolfgang teilte mir beim loslaufen mit: Du bist 7. aber Platz 5 und 6 haben 45 Minuten Vorsprung. Gemeldet waren in meiner AK 17 Teilnehmer, gestartet sind 15. Ich wusste auch, dass bei diesem IM die ersten 5 jeder AK auf das Podium kommen. So lief ich los. Ziel war: bis 21 k laufen, wenn es dann nicht mehr geht schnell gehen, das reicht für das Finish im vorgegebenen Zeitlimit. Natürlich stand mein Sohn bei k 21 k … und hatte die Zwischenstände über den IM Tracker vermittelt parat: du bist schon sechster und nur 13 Minuten vor Platz 5, die scheinen alle schon zu gehen. Jeder der nur einmal einen kleinen Volkslauf absolviert hat weiß, was für eine psychologische Wirkung so eine Aussage hat: sollte ich wirklich bei meinem allerletzten IM in M65 noch einmal auf das Podium kommen? In den ersten beiden Jahren dieser AK ist mir das zweimal gelungen aber dann wurden die „Jüngeren“ in meiner age group für mich zu schnell. Und jetzt das.
Was begann war ein gnadenloser Kampf gegen mich selbst: Lauf das Ding durch, don‘t walk – run, das war jetzt die Devise ! SIA: Im so confident, I am a Porsche without brakes, tonight I am unstoppable. Immer wieder wartetet Wolfgang auf mich und rief mir zu: Lauf durch, nicht gehen. Als ich in die letzte von 4 Runden kam verabschiedete er sich von mir: See you at the finish line. Doch ein paar Häuserblocks weiter stand er heimlich an einer Hausecke. Als ich ihn entdeckte frug ich: was machst du denn hier. Seine Antwort: wollte nur kontrollieren, dass du auch rennst. Bitte, wie soll man denn da gehen – bin bis ins Ziel durchgelaufen. Ich bin dir unendlich dankbar Sohn. Heute morgen habe ich meinen Pokal für den 5. Platz bekommen, der ist für die Ewigkeit, den will ich eines Tages mit in mein Grab nehmen.
Erlaubt mir zum Schuss ein paar Worte des Dankes. In erster Linie meiner Frau, dass sie mir den Raum lässt diesen zeitaufwendigen Sport zu betreiben. Sie hatte natürlich gedacht wenn ich nach den langen Jahren im Beruf nur noch 20 h/Woche arbeite (manchmal sind es dann doch immer noch erheblich mehr) hätte ich viel Zeit für uns…..
Meinem Trainer Christian, der mich einmal mehr strategisch optimal gebrieft hat (und diesmal hab ich mich auch wirklich daran gehalten). Meinen Kindern die bei meinem Sport so mitfiebern. Während des gestrigen Wettkampfs wurden auf unserer gemeinsamen Watt‘s App Gruppe zwischen Sydney, Essen und Florianopolis sage und schreibe 230 Nachrichten verschickt, garniert mit zahlreichen Videosequenzen die Wolfgang während des Rennens aufgenommen hatte.
Aber mein Dank gilt auch allen andern die mitfiebern, über den IM Tracker oder wie auch immer. Ihr wisst ja gar nicht wie das Bewusstsein darüber mir Motivation gibt weiterzumachen und nicht abzubrechen.
Ach ja, in der Ak M Grufti, also M 70, der ich nächstes Jahr angehöre, sind hier in Brasilien auch 3 Triathleten gestartet. Keiner hat es gestern ins Ziel geschafft. Andererseits unglaublich: der einzige Starter in M75 war 25 Minuten vor mir ihm Ziel.
Und so verrückt es auch klingen mag: ich freue mich wahnsinnig auf nächstes Jahr, auf M70 !
Stephan Petrasch