Natürlich habe ich mir für den letzten Tag im „Trainingslager“ was besonderes aufgehoben: von Granada aus auf die Sierra Nevada.
Alleine schon in Granada zu sein, was für Erinnerungen an die Stadt in der ich Anfang 20 ein Jahr lang leben durfte. Es war mein erstes Jahr als Student, nach der ungeliebten Schulzeit, dem harten Dienst bei der Bundeswehr, einer total autoritären Erziehung und einer strengen römisch-katholischen Prägung. Hier in Granada war ich zum ersten Mal in meinem Leben selbstbestimmt und frei. Schnell hatte ich spanische Freunde gefunden. Jeden Abend zogen wir um die Häuser. Meist zum „Plaza de Principe“. Dort gibt es zahlreiche Bars. Der Andalusier geht dort hin, um seine Sorgen zu erzählen. Aber nicht einem Nachbar am Tresen, sondern allen die in der Bar sind, in Form eines Sprech-Gesangs, Flamenco eben (die Hipp-Hopp Bewegung hat das wohl nachgemacht, allerdings in einer aggressiven und provozierenden Art, nicht der traurig melancholischen des eigentlichen Flamencos). Alle hören zu, klatschen im typischen Flamenco Takt dazu oder hauen mit ihren Absätzen im Takt auf den Boden. Wie oft hatte ich dabei Gänsehaut pur. Das ist Flamenco, das ist echt. Das ist kein für die Touristen aufgebauschtes Verkaufsprodukt.
Die Sierra Nevada präsentiert sich heute von ihrer besten Seite: 23 Grad, blauer Himmel und die Spitze des Veletas 3500 Meter ü.d.M. schneebedeckt was ich schon vom Auto aus lange vor Granada bestaunen durfte. Man kann hier morgens Ski fahren und nachmittags im Mittelmeer baden. Wo sonst gibt es soetwas.
Ich radle los, mein Ziel heute zumindest bis zum Skidorf auf 2065 m.ü.M. Ich winde mich langsam den Berg hoch, schaue zurück auf Granada das immer kleiner wird und genieße das spektakuläre Bergpanorama. Hier bin ich schon oft hochgefahren, fast kenne ich jede Kurve. Erneut erinnere ich mich an mein Jahr in Granada und meine erste Fahrt hierhoch. Ich wurde damals Mitglied im „Club cyclismo Granadino“ (habe heute noch das Vereinstrikot). Wir trafen uns an einem Sonntag morgen um 9:00. Natürlich hatte ich bis spät Samstag nachts auf den Tischen getanzt und ging völlig verkatert an den Start. Und es geschah was geschehen musste: nach und nach überholten mich alle, selbst die ältesten die nur noch einmal ihre schicken Räder zur Schau stellen wollten. Schon bei 1200 m.ü.M. musste ich damals aufgeben, wie peinlich – el aleman. Zum Glück geht es zurück nur bergab, mehr wäre an dem Tag nicht gegangen.
Aber heute, da fühle ich mich wohl, was mich etwas überrascht nach ca. 800 k mit 5000 HM auf dem Rad in den letzten 12 Tagen. Aber mein körperliches Wohlgefühl wird heute durch eine niederschmetternde Gegebenheit psychisch gemindert: offensichtlich haben die Profirennställe die Sierra als ideale Trainingsstätte auserkoren. So trainieren hier u.a. heute das Team Astana und Lidl/Trek. Besonders das letztere ist verblüffend, die haben seit Monaten keine Trainingseinheiten mehr hochgeladen, fahren hier sozusagen heimlich.
Und eben diese Profis fahren an mir ständig vorbei, ich glaube die merken garnicht, dass es steil bergauf geht. Während ich nach Luft schnappe schnurren die, sich lebhaft unterhaltend, in einem Affenzahn an mir vorbei, einige die alleine fahren singen oder telefonieren angeregt mit dem Handy. Noch schlimmer würde es später auf dem Rückweg werden: während ich mit aller Kraft die Bremsen ziehe hauen die selbst bei 10% Abfahrt voll in die Pedale als gäbe es kein Morgen.
Ich fahre an der 1750 Höhenmarke vorbei und denke, wenigstens bis hierher hab ich’s heute geschafft. Jetzt wird die Luft dünner. Deshalb trainieren auch die Profis hier, sie wollen durch den Sauerstoff Mangel ihr Erythrozytenvolumen erhöhen.
Endlich ist mein eigentliches Tagesziel erreicht, das Skidorf auf 2065 m.ü. M. Ich wechsle mein völlig nass geschwitztes Trikot denn hier oben wird es frisch, trinke 1 L Wasser und 2 Dosen Cola und esse Nüsse. Nach 20 Minuten Pause beginne ich zu nachzudenken: zurückfahren oder weiter hoch, noch 7 k und 500 HM bis zur Schranke. Ab dort dürfen keine Autos mehr weiter. Naja, ein paar Körner hab ich noch, also weiter. Aber es wird unheimlich hart: mein Puls ist jetzt ständig zwischen 150 und 160, die Lungen brennen und die Luft hier oben hat einfach keinen Sauerstoff mehr. Ich denke an SIA‘ s Lied „Unstoppable“ und trete weiter in die Pedale so gut es eben geht. Meine Trittfrequenz ist jetzt bei 60 (normal 85-90), mehr geht nicht. Als ich nach der letzten Kurve die Schranke in 2550 m.ü.M. sehe bin ich total ausgelaugt, erschöpft aber stolz wie Oscar.
Hier werde ich in 2 Monaten wieder stehen. Aber dann soll es weiter gehen. Die Straße ist zwar für Autos ab hier gesperrt, geht aber weiter, bis auf die Spitze des Veletas in 3500 Metern. Hier dürfen nur noch Schneetraktoren im Winter fahren damit die Skifahrer ihr Vergnügen haben können. Das schwierigste wird dabei auf der nicht befestigten Straße der Wind und am 11.7.24 natürlich die Hitze. Das will ich dann aber nicht alleine machen, da brauche ich dann einen Profi an meiner Seite.
Stephan Petrasch